Fast 400 Kilometer durch Brandenburgs Energiezukunft
Energiewende-Radtour 2024
Fast 400 Kilometer durch Brandenburgs Energiezukunft
Ein Reisebericht von Thomas Wencker, Referent für effiziente Energiesysteme und erneuerbare Gase bei der ASUE im DVGW e.V.
Vier Tage, vom 3. bis zum 6. September, sind wir mit dem Fahrrad durch Brandenburg gefahren. Dabei waren wir eine Gruppe von 15 bis 20 Radlerinnen und Radlern, die beruflich aus unterschiedlichen Unternehmen und Sparten der Energiewirtschaft kommen.
Unter dem Motto „Die Energiewende erfahren“ wollten wir die innovativen Industriestandorte, engagierten Kommunen und landwirtschaftlichen Betriebe besuchen, die die Energiewende in Brandenburg voranbringen. Und die damit auch zum wirtschaftlichen Aufschwung in Brandenburg beitragen.
Für jeden Tag hatten wir uns dabei einen Themenschwerpunkt gesetzt: Der erste Tag führte uns zu einem herausragenden Industrieunternehmen, das sich auf den Weg zur Klimaneutralität gemacht hat. Am zweiten Tag besuchten wir Beispiele für besonders gelungene Bürgerbeteiligung und am dritten Tag Landwirtschaftsbetriebe, die von Erneuerbaren Energien profitieren. Der letzte Tag stand ganz im Zeichen der Wärmewende.
Wir haben dabei nicht nur viele tolle Menschen getroffen, die mit ihrem Engagement Brandenburg prägen. Wir konnten auch sehen, dass die Energiewende in Brandenburg – bei allen Herausforderungen, die sie mit sich bringt – schon jetzt eine beeindruckende Erfolgsgeschichte ist.
Tag 1, 3. September 2024, von Strausberg nach Jüterbog, 131 km
Km 10, CEMEX Rüdersdorf
Nach dem Start in Strausberg fuhr das Feld den ersten Stopp bei CEMEX in Rüdersdorf an. CEMEX ist der fünftgrößte Zementhersteller der Welt und das Werk Rüdersdorf die größte Zementfabrik in Deutschland.
Für die Herstellung von Zement sind nicht nur hohe Temperaturen nötig, die heute zum Großteil mit fossilen Brennstoffen erzeugt werden. Es entstehen auch prozessbedingt hohe Mengen CO2. In Beton, wie er auf Baustellen genutzt wird, sind im Schnitt nur ca. 13 Prozent Zement enthalten. Aber dieser Zement verursacht 82 Prozent der CO2-Belastung des Betons. Mit 5 bis 10 Prozent ist der Transport des schweren Guts in Schiffen oder Zügen für eine weitere CO2-Belastung verantwortlich (Perspektivisch ließe sich das über E-LKW und E-Schifffahrt dekarbonisieren).
Weil die Baubranche global wächst, steigt auch die Nachfrage nach Zement. CEMEX bemüht sich, diese Nachfrage möglichst klimafreundlich zu bedienen. Dafür hat CEMEX gemeinsam mit Partnern die Carbon Neutral Alliance gegründet. Geplant ist, eine Milliarde Euro zu investieren, um ab 2030 125 Millionen Tonnen CO2 via CCU (Carbon Capture and Utilization) und 1.400 Millionen Tonnen CO2 über Offshore-CCS (Carbon Capture and Storage) nicht in die Atmosphäre zu emittieren.
In der Folge will CEMEX ein CO2-Hub für Brandenburg werden und unter anderem den BER mit grünem Kraftstoff versorgen. Am Standort Rüdersdorf soll dafür eine Chemieanlage entstehen, welche grünes SAF (Sustainable Aviation Fuel – ein nachhaltiger, klimaneutraler Flugtreibstoff) in einer Menge von 30.400 t/a und 6.500 Tonnen pro Jahr Naphta (ein ölbasierter Grundstoff der Chemieindustrie) produziert. Ein kleiner Teil des dafür benötigten Wasserstoffs (ca. 2.000 t/a) sollen vor Ort via Elektrolyse erzeugt werden, später ist der Anschluss an das Wasserstoffnetz und ein Verbrauch von ca. 125.000 t/a vorgesehen. Die Inbetriebnahme der Anlagen ist derzeit für das Jahr 2030 vorgesehen.
Zentrale Herausforderungen bei der Umsetzung des Projektes sind für CEMEX aktuell die nicht kalkulierbaren Entwicklungen im EU ETS. Dies betrifft zum einen die heute unmögliche Anrechnung von Negativemissionen und zum anderen die unklare Entwicklung des CO2-Preises – erst ab ca. 200 €/t wäre ein wirtschaftlicher Betrieb der klimaneutralen Produktion möglich. Ebenfalls sieht CEMEX den stagnierenden Ausbau der erneuerbaren Energien als Gefährdung für das Projekt. Im Gegensatz zu anderen Projekten berichtete CEMEX von einer guten Unterstützung der beteiligten Ämter und einer extra eingerichteten Task Force CEMEX bei den lokalen Behörden.
Km 76, Verdichterstation Radeland
Mitten in den brandenburgischen Kiefernwäldern erreichte die Tour die Verdichterstation Radeland. Betrieben von Gascade und der Opal Gastransport GmbH treffen hier zentrale, transeuropäische Gastransportleitungen (EUGAL, OPAL und die ehemalige North Stream 1) zusammen und werden auf dem Weg nach Süden verteilt. Die gewaltigen Dimensionen der Anlage mit ihren Verdichtern und Rohrleitungen verdeutlichten die Mengen, die Stand heute durch die Republik transportiert werden.
Die auf dem Gelände umfangreich sichtbaren Bauarbeiten lassen darauf schließen, dass die gesamte Anlage derzeit an die heutigen und zukünftige Netzbedingungen (z. B. Umkehr der Flussrichtung wegen des Ausbleibens von Gas aus Russland, zusätzliche Vernetzung zwischen den Ferngasleitungen für flexibleren Betrieb, Austausch für Wasserstoff ungeeigneter Komponenten) angepasst wird.
Km 119, Windpark Heidehof-Golmberg
Der Windpark auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz Heidehof-Golmberg ist ein gelungenes Beispiel für die Nachnutzung einer ehemals militärisch genutzten Fläche. Denn neben nicht explodierten Sprengsätzen und scharfkantigen Metallteilen gibt es mitunter auch chemische Rückstände, die den Aufwuchs jeglicher Vegetation verhindern. In dieser Umgebung ist ein Windpark entstanden, der große Mengen erneuerbare Energie in das öffentliche Stromnetz einspeist.
Es hat uns überrascht, dass es rund um den Windpark Diskussionen zwischen dem Betreiber und einer Stiftung gibt, die den Truppenübungsplatz unter naturschutzrechtlichen Gesichtspunkten bewirtschaftet. Denn auf dem Gelände lebt der in Brandenburg selten gewordene Ziegenmelker, der als Bodenbrüter Flächen benötigt, die vom Menschen nicht landwirtschaftlich genutzt werden. Auch der Wolf hat in dem buschigen Aufwuchs rund um die Windenergieanlagen eine Heimat gefunden.
Die Diskussion setzt sich beim Brandschutz fort, denn Brandschneisen dürften nach Ansicht der Naturschützer nicht völlig gerodet werden.
Km 131, Kloster Zinna bei Jüterbog
Bei der abendlichen Stärkung war der SPD-Landtagsabgeordnete Erik Stohn anwesend und teilte seinen Blick auf den Wahlkampf mit den Tourteilnehmern. An seinen Infoständen gehe es inhaltlich meist um die Ampelpolitik im Bund und den Krieg in der Ukraine, weniger um landespolitische Themen. In den Medien, so der Politiker, erscheine Krise nach Krise, was den Blick auf lokale Tagesthemen schwierig mache. Mit Blick auf die Schulen in Brandenburg stellte er fest, dass der SPD und ihren Partnern viel gelungen sei. Er warnte aber auch davor, dass Abwanderung den Arbeitsmarkt gefährde, auch in den Verwaltungen. Brandenburg lebe von Weltoffenheit, was er mit den 54 bei Rolls Royce in Ludwigsfelde arbeitenden Nationalitäten untermauerte. Die Arbeitslosigkeit im Landkreis Teltow-Fläming liege unter 5 Prozent – darauf könne man auch mal stolz sein. Die in Brandenburg in großem Umfang gewonnene grüne Energie sei ein wichtiger Standortfaktor.
Tag 2, 4. September 2024, von Jüterbog nach Bad Belzig, 82 km
Km 136, Biogasanlage Neuheim
Direkt am Ortsausgang von Jüterbog liegt die Biogasanlage Neuheim. Im Jahr 2008 mit einer Leistung von 1,2 MWel gebaut, ist sie heute mit einem zusätzlichen BHKW auf 1,8 MWel ausgebaut worden, wodurch ein flexiblerer Betrieb ermöglicht wird. In der Anlage wird hauptsächlich lokal erzeugte Biomasse (Mais- und Grassilage) bei einem Gülleanteil von 33 % vergoren. Die in den BHKWs erzeugte Wärme wird in das Wärmenetz von Jüterbog abgegeben. Dieses Wärmenetz hat einen Absatz von insgesamt 10 GWh/a, die Hälfte davon stammt aus der Biogasanlage.
Das Wärmenetz soll, wo sinnvoll möglich, im Rahmen der kommunalen Wärmeplanung erweitert werden. Nach dem Ende der EEG-Förderung werde am Standort weiter Strom produziert, aber in geringerem Umfang als heute, da die Installation einer Biogasaufbereitung geplant sei, die dann Biomethan in die nahegelegene Gasleitung einspeisen solle.
Km 163, Bürgerstiftung Schlalach
Die Genossenschaft, die den Windpark seit 2002 nach dem Gesetz zur Flächenausweisung geplant und gebaut hat und ihn heute betreibt, hatte einen schwierigen Start. Erst nachdem in einer Einwohnerversammlung der Auftrag zur Bildung einer Arbeitsgruppe erteilt wurde, stimmten mehr Bürger für das Projekt als dagegen.
Danach suchte die Genossenschaft in einer Ausschreibung einen Betreiber. Das Ergebnis: Enercon sollte die Anlagen liefern. Die Fläche, auf der die Windkraftanlagen stehen, ist 320 ha groß und gehört 130 verschiedenen Eigentümern. Das heißt: Für jede Windenergieanlage mussten Vereinbarungen mit mehreren Eigentümern getroffen werden. Man einigte sich schließlich auf ein Pachtmodell, durch das die Grundstückseigentümer an den Gewinnen der Windkraftanlagen beteiligt wurden. Durch eine Stiftung, die 0,75 Prozent der jährlichen Vergütung erhält, erhalten die Einwohner, die keine Flächen im Windpark besitzen, einen Ausgleich. Aktuell liegt das jährliche Einkommen der Stiftung bei 70.000 €. Seit 2013 setzte diese Stiftung dann auch andere Projekte im Ort um, wie die Verschönerung öffentlicher Plätze oder die Förderung lokaler Vereine.
Diese Bürgerstiftung ist ein gelungenes Beispiel, wie die Akzeptanz der erneuerbaren Energien durch die Einbindung der lokalen Bevölkerung erreicht werden kann.
Km 170, Gesamtschule Treuenbrietzen
An der Gesamtschule Treuenbrietzen wurde aus einer wirtschaftlich am Boden liegenden Gemeinde ein Vorzeigeprojekt der Energiewende gemacht. Michael Knape, Bürgermeister der Gemeinde, berichtete, dass die Gemeinde noch bis 2022 pleite gewesen sei. Aus der Not heraus, aber auf Augenhöhe, habe man gemeinsam mit Energiequelle und Enertrag ein zukunftsfähiges Energiekonzept entwickelt. Die als Dachgesellschaft gegründete Landwerk ermöglicht heute bei einer 50/50-Aufteilung zwischen den Vertragspartnern viele Projekte, wie LED-Beleuchtung, Abwassernutzung usw.
Ein besonderes Teilprojekt ist dabei die Gesamtschule, die aus einem denkmalgeschützten Altbau und einem neuen Anbau besteht. Auf dem Dach ist eine PV-Anlage installiert, die in einem eigenen Fach „Erneuerbare Energien“ eingesetzt wird und damit dem Fachkräftemangel frühzeitig begegnen soll. Schüler:innen lernen dort z. B. wie Contracting oder eine smarte Beleuchtungssteuerung funktionieren. Leider habe man 1,5 Jahre auf den Netzanschluss warten müssen.
Mit Blick auf Landkreis und Bundesland stellte Herr Knape fest, dass man heute schon im Kindergarten anfangen müsse, damit Kinder die Energieverfügbarkeit nicht als selbstverständlich annehmen. Es sei manchmal besser, wenn der Ingenieur anstelle des Lehrers erklärt. Auch sei in Brandenburg viel mehr erneuerbare Energie als benötigt vorhanden und daher müsse Maß und Mitte gefunden werden, um die lokale Akzeptanz nicht zu gefährden.
Km 182, Energiequelle Feldheim
In Feldheim hat Energiequelle, heute ein europaweit arbeitendes Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden, einen entscheidenden Anker in der Region. Nach der Gründung Ende der 1990er Jahre hat das Unternahmen alle Höhen und Tiefen gemeistert und verfügt in Feldheim über ein eigenes Energiesystem, in dem das Zusammenwirkung von Windkraft, PV, Biogas und Holz im praktischen Einsatz weiterentwickelt werden kann.
Ausgehend von Windkraft und PV besitzt die Energiequelle in Feldheim ein eigenes Stromnetz, parallel zu dem vorhandenen Netz der e.dis, über das sie auch während der durch den russischen Einmarsch in die Ukraine verursachten Energiekrise einen Strompreis von nur 11 Ct/kWhel sicherstellen konnten. Zusätzlich installierte die Energiequelle ein aus Holzschnitzeln und einer Biogasanlage versorgtes Wärmenetz, welches für 7,5 Ct/kWhth plus 1,5€ mal die Hausanschlussleistung in kW kostengünstige, grüne Wärme bereitstellt.
Maßgebliche Erfolgsparameter sei neben dem Ausnutzen der jeweiligen Förderbedingungen eine intensive Kooperation mit den Bürger:innen von Feldheim gewesen, die großes Vertrauen zur Folge hatte. Zusätzlich ist deren Teilhabe eine zentrale Voraussetzung, was über eine Kommanditisten-Beteiligung an der Wärmeerzeugung erreicht werde.
Tag 3, 5. September 2024, von Bad Belzig nach Brandenburg, 109 km
Km 251, Agrargenossenschaft Rogäsen in Zitz
Nach einem kurzen Stopp am Mittelpunkt der ehemaligen DDR erreichte die Tour einen Milchviehbetrieb der Agrargenossenschaft Rogäsen in dem zum gleichnamigen Ort gehörenden Ortsteil Zitz mit ca. 200 Einwohnern.
Wegen der aktuell auf dem Hof ausgebrochenen Blauzungenkrankheit empfing uns der Geschäftsführer der AGG, Matthias Busse, an der Toreinfahrt. Er berichtete über das nicht immer einfache Geschäft, das die AGG seit 2000 entlang der häufig wechselnden Regulatorik entwickelt hat. Seit 2010 installierte die AGG PV-Anlagen mit insgesamt 1.065 KWp auf den meisten Dächern ihrer landwirtschaftlichen Gebäude. 2017 kam eine güllebasierte Biogasanlage dazu, die die Gülle direkt aus der Milchviehhaltung mit ca. 600 Kühen zugeführt bekommt. Daraus produziert sie eine Leistung von 75 kWel, entsprechend 1.800 kWhel/d. Die in der Konstruktion einfach gehaltene Anlage gibt ihre Abwärme an den eigenen Fermenter und in die Brauchwassererwärmung weiter.
Auf die Biogasanlage angesprochen kritisierte Herr Busse, dass landwirtschaftliche Biogasanlagen mit NaWaRo-Biomasse die Marktpreise kaputt gemacht hätten und dass sich deswegen die klassische Landwirtschaft in Deutschland nicht mehr als alleiniges Standbein lohne. Zudem verbrauche die im Großteil als NaWaRo-Biomasse eingesetzte Maissilage vom Anbau über das Hechseln und die Lagerung bis hin zum Einbringen in Biogasfermenter so viel Energie, dass er das Zurückfahren des Maisanteils in der Biogaserzeugung begrüßte. Vielmehr müssten laut Busse die reinen Gülleanlagen gestärkt werden.
Viel dringender empfand Busse aber den Mangel an Arbeitskräften, der in seiner AGG immer mehr zum Hemmschuh der alltäglichen Arbeit werde. Auch die politischen Maßnahmen kommen nicht gut an: Die neu zu erstellenden Stoffstrombilanzen kosteten viel Zeit, ohne einen finanziellen Mehrwert zu generieren. Der erlebte Bürokratismus sei Wahnsinn, der Betrieb ersticke daran.
In Richtung der Landespolitik forderte Herr Busse mehr Pragmatismus und vor allem eine Straffung von Prozessen. Er schloss mit der Bitte, Landwirte als gleichwertige Partner bei jeglichen Zukunftsdiskussionen anzunehmen, da nur sie durch die Vielfalt ihrer Arbeit und die teils langjährige Flächenbewirtschaftung über die nötigen Detailkenntnisse für lokale Projekte besitzen.
Km 271, Agrarwirtschaftsbetrieb (AWB) Demsin
Der AWB Demsin ist direkt nach der Wende 1990 als GmbH aus der vormaligen LPG Tierproduktion hervorgegangen. Vor Ort wurde die Radtour von Christian Rohne, seit 2011 Geschäftsführer der AWB Demsin Gmbh, empfangen.
Die beachtlichen Erzeugungskapazitäten umfassen neben 530 kWp Photovoltaikleistung auf den Gebäuden auch eine 2007 in Betrieb genommene Biogasanlage. Diese Anlage ist mit einem 530 kWel starken BHKW ausgerüstet. Seit 2010 wurde ein über eine Biogasleitung angeschlossenes Satelliten-BHKW mit 537 kWel installiert – dieses versorgt seitdem die 50 Haushalte von Demsin mit grüner Fernwärme für etwas weniger als 7 Ct/kWhth. Die hohe Verfügbarkeit der BHKW erfordert kein spezielles Spitzenlastgerät, allerdings sind durch die Pflicht zur Wärmeversorgung bei dem Satelliten-BHKW die Optionen für Flexbetrieb stark beschränkt. Später wurde dann aber die Biogasanlage mit einem zusätzlichen BHKW mit 537 kWel flexibilisiert und im Jahr 2019 um ein spezielles Gasspeicherdach auf dem Gärrestlager erweitert. Damit kann die AWB Demsin überaus flexibel auf Bedarfe im Stromnetz reagieren.
Bauchschmerzen bereitet dem auch als Wärmeversorger in der Pflicht stehende Rohne das Ende der EEG-Förderung im Jahr 2027. Schon zweimal habe er sich ohne Erfolg auf einen 10-jährigen Weiterbetrieb bei der BNetzA beworben. Mit den bei ihm minimal möglichen Stromgestehungskosten sei es trotz der Verknüpfung mit dem kommunalen Umfeld nicht möglich, die von teilweise industriell betriebenen Biogasanlagen aufgerufenen Kosten von weniger als 17 Ct/kWhel zu unterbieten. Der AWB Demsin liegt etwa 400 m von einer Gasleitung entfernt. Für die relativ kleinen Mengen (ca. 2,3 Mio. Nm³/a) vor Ort lohne sich eine Aufbereitung derzeit nicht.
Er stellte die Frage in den Raum, warum sich Biogasanlagenbetreiber gegenseitig kaputt machen, anstatt mit gemeinsamer, starker Stimme gegenüber der BNetzA und dem BMWK aufzutreten, um gemeinschaftlich auf 19 – 19,5 Ct/kWhel hinzuwirken (In Demsin entspricht 1 Ct/kWhel einer jährlichen Summe von 60.000 €). Herr Rohne schloss mit dem Appell an das BMWK, bitte keine ineffizienten Zentralturbinen einzuplanen, dann die Biogas-BHKWs seien bereit, auf Anforderung große Mengen Volllast ins Stromnetz einzuspeisen.
Als Landwirt konnte Herr Rohne mit seiner GmbH 30 Jahre lang kein Geld zurücklegen, stattdessen kämen z. B. mit dem Nabisy neue, zusätzliche Anforderungen. Ein weiterer Dorn in seinem Auge seien die bundesweit uneinheitlich geregelten Pflichtstillegungen. Er schloss mit dem Hinweis, dass Agri-PV auf gutem Bördeboden mit 100 Bodenpunkten nichts zu suchen habe.
Km 309, Sunfarming Rathenow
„Wir hätten nie gedacht, dass das so doll wächst!“ Mit diesen Worten begrüßte Firmengründer Peter Schrum gemeinsam mit der SPD-Landtagsabgeordneten Katja Poschmann die Radfahrer nach inzwischen 77 km Gegenwind. Die mutmaßlichen Hemmer des Wachstums sind die über ihnen installierte PV-Platten. Allerdings haben die Ingenieure von Sunfarming die Platten so zusammengesetzt, dass immer noch ausreichend Licht durch die Gestelle gelangt und auf die Platten fallender Regen so verteilt durchgelassen wird, dass er den Boden sättigt anstelle ihn wegzuspülen.
Am Standort Rathenow testet Sunfarming die Installationen mit verschiedensten Feldfrüchten: Von wärmeliebenden Tomaten und Weinreben über Gemüse wie Mangold oder Mohrrüben bis hin zu Beerenobst in Form von Himbeeren und Johannisbeeren. Auch medizinisch wirksames Beifuß-Kraut wird erfolgreich kultiviert. Und allen Kulturen sei laut Schrum gemein, dass unter seinen Agri-PV-System viel weniger gespritzt werden müsse, es einen Schutz gegen wegen des Klimawandels häufigeren Hagel gebe, man bis zu 80 % Wassersgabe einspare und durch die längere Vegetationszeit insgesamt mehr landwirtschaftlichen Ertrag pro Fläche erreiche, als wenn keine PV-Anlage darüber installiert sei.
Abendveranstaltung, Brandenburg
Nach der Schlussetappe von Rathenow nach Brandenburg trafen die Radeler:innen auf zwei energiepolitische Sprecher:innen aus dem Landtag, namentlich Clemens Rostock (Bündnis 90/Die Grünen) und Britta Kornmesser (SPD). In kurzen Statements stellten sie ihre jeweiligen Blicke auf die Energiewende vor, wobei seitens der SPD ein überarbeiteter Windeuro, analog zu der aus Nordrhein-Westfalen bekannten Regelung, in den Raum gestellt wurde. Einig waren sich die Politiker, dass es vor allem bei der Akzeptanz der erneuerbaren Energien sowie bei den „vielen Flaschenhälsen“ in den Genehmigungsbehörden noch viel zu tun gebe.
Tag 4, 6. September 2024, von Brandenburg nach Potsdam, 60 km
Km 347, Stiftung Schloss Gollwitz
Die rein privat, unabhängig und überparteilich aufgestellte Jugendeinrichtung versteht sich als Mittlerin zwischen Kulturen zur Schaffung von Toleranz und Medienkompetenz. So treffen hier z. B. gesprächsbereite Israelis, Araber und Palästinenser aufeinander, um im moderierten Gespräch in der Gegenseite nicht nur den Feind zu sehen. Zusätzlich vermittelt die Stiftung auch Erwachsenen umfangreiches Basiswissen rund um die Konfliktregion im Nahen Osten.
Mit Blick auf die landespolitische Landschaft äußerte sich der Vorstandsvorsitzende Jan van Lessen, dass die Zukunft der Einrichtung nicht besonders sicher sei, sollten sich die antidemokratischen Strömungen durchsetzen und wie angekündigt die Förderung von basisdemokratischen und integrationsfördernden Maßnahmen streichen.
Dieser Besuch stimmte die Fahrer:innen nachdenklich. Wenig überraschend ziehen sich auch jenseits der Energiewende tiefe Gräben durch die Gesellschaft.
Km 370, e.dis Energiewendelabor, Ketzin
Im Reallabor Ketzin angekommen, führte Geschäftsführer Thomas Borchers das Feld zunächst zu einer Stärkung mit einem Vortrag zur Entwicklung der e.dis, wobei insbesondere die vielen, in Brandenburg durch die e.distherm betriebenen Wärmenetze auffielen.
Auf dem Gelände des Energiewendelabors sind zwei Biogasanlagen sowie ein kompaktes Windrad installiert. Letzteres ist eine Besonderheit: Es ist so niedrig, dass dafür keine Genehmigung nach BImSchG nötig war. Der Strom aus dem Windrad wird anders als meist üblich direkt zum Eigenbetrieb der beiden Biogasanlagen eingesetzt. Das so produzierte Biogas bringt daher einen deutlich geringeren CO2-Rucksack in die potenzielle Anwendung als der Durchschnitt. Und auch die e.distherm nutzt diesen Vorteil: Das vor Ort produzierte Biomethan wird innerhalb des Unternehmens in BHKWs innerhalb der eigenen Wärmenetze genutzt. Diese Maßnahme hat einen großen Anteil an den bisher erreichten Dekarbonisierungsschritten, dürfe laut Borchers aber nicht vom Blick auf die noch anstehenden Dekarbonisierungsaufgaben ablenken.
Zur Zukunft des Unternehmens äußerte sich Herr Borchers vorsichtig optimistisch. Man sei mit vielen Projekten im Gespräch, aber die vielen Unklarheiten ließen genauso viele Projekte wieder scheitern. So sei die Diskussion um das Gasnetz immer noch nicht abgeschlossen, so dass die e.distherm bei älteren, vom EEG-Förderende betroffenen Anlagen nicht auf Methanisierung, sondern auf flexiblere Stromproduktion umrüsten werde. Auch die im Markt nach den Insolvenzen der Biomethanhändler bmp greengas und Landwärme entstandene Unruhe habe zu dieser Entscheidung beigetragen.
Vor Ort in Ketzin werde dagegen die Standorteffizienz durch die Integration neuer Partner in das Energiewendelabor ausgebaut. Die Arbeiten für ein Wärmenetz zur Versorgung der benachbarten Gebäude von ontras und NBB sowie der eigenen Gebäude mit der grünen Biogaswärme sollten noch 2024 beginnen.
Km 391, Stadtwerke Potsdam (EWP)
Zum würdigen Abschluss der Energiewende-Radtour 2024 hatten die EWP auf das Gelände der 2023 fertiggestellten Tiefengeothermie-Bohrung eingeladen. Nach einer Stärkung stellten die Kolleginnen und Kollegen die EWP und ihr kommunales Wärmekonzept vor, das unter dem Licht von geschätzt 5 Mia. € (!) für eine energetische Sanierung der vielen Bestandsgebäude relativ viele Erzeugungsanlagen vorweisen müsse.
Heute wird das ca. 60 % der Potsdamer Haushalte versorgende Wärmenetz aus einem Gas- und Dampfkraftwerk mit einer Leistung von 80 MWth gespeist. Mit der Außerbetriebnahme der Turbinen in 2030 und 2035 soll ein Großteil der Wärme aus Tiefengeothermie gewonnen werden und gleichzeitig der Anschlussgrad auf 80 % ausgebaut werden. Zusätzlich bezeichneten die Kollegen mit grünem Gas betriebenen KWK-Anlagen als elementaren Bestandteil der Zukunftsstrategie der EWP.
Zur vielerorts als riskant betrachteten Tiefenbohrung waren die EWP-Vertreter stolz, dass man sogar mehr Energie, nämlich 4,3 MWth, gefunden habe, anstatt der nach seismischen Voruntersuchungen ausgegebenen Leistung von 2,5 MWth. Aber auch in Potsdam zeigten sich einzelne Unwägbarkeiten, denn die Wärmequelle wurde an einer im Vergleich zu den Voruntersuchungen um 500 m verschobenen Teufe gefunden – bei einer Gesamtteufe von gut 2.000 m immerhin eine Abweichung von ca. 25 %. Weil das Ergebnis dennoch so positiv ausgefallen ist, planen die EWP mit bis zu 10 weiteren Bohrungen.